Ja genau, mal ein eher ungewöhnlicher Kontext für Tango Argentino!
Auch "harte Jungs" können Zugang zu Tango Argentino finden. Ich hab´s erlebt in meinem tanztherapeutischen Projekt in der Jungendstrafanstalt Rockenberg.
Durch eine Einladung eines langjährigen Tangoschülers von mir, der Chef der Anstalt wurde, bekam ich als Tanztherapeutin die Chance, mit einer kleinen Gruppe junger Männer im Alter von ca. 16-18 mit schweren Vergehen über einen Zeitraum von 9 Monaten einmal wöchentlich zu "arbeiten".
Harte Jungs und eine Frau
Die einzige Frau in dieser Gruppe von hormonell stark herausgeforderten jungen Männern war ich. Und ich sah ja nicht so ganz schlecht aus: schlank, lange Haare, damals ca 40 Jahre alt. Wie ging denn das?
Es ging! Sie sprangen erstens auf meine eigene Begeisterung und Lebendigkeit bezüglich Tanz an und zweitens: ich glaube sie erlebten mich als authentisch und glaubwürdig. Ich war ehrlich interessiert an ihnen und offenherzig neugierig.
Sie respektierten mich - ich glaube, weil ich ihnen auf Augenhöhe begegnete, und sie spüren ließ, dass ich sie respektierte und keine Angst vor ihnen hatte. Die hatte ich auch nicht. Erstens war ich ja faktisch durch das System des Gefängnis geschützt.
Klar, ich musste mich erstmal zurechtfinden - sie gehörten ja nicht zu meiner typischen Schülergruppe von achtbaren Mittelschichtlern.
Geht das überhaupt? Kriminelle Jugendliche und Tango?
Ja, es geht. Es ging ja auch während der Anfangszeit des Tango Argentino. Die ursprünglichen Tänzer waren ja keine Dandys oder Edelleute.
Es waren ursprünglich Sklaven und Überlebenskünstler in harten Zeiten. Der Tanz gab ihnen ein Gefühl von Freiheit. Tango selbst ist DAS Symbol für Freiheit.
Männer tanzen mit Männern
Wie im Jugendknast tanzten sie aus Frauenmangel früher auch meistens miteinander. Und heute, wo Queertango eine riesige Szene geworden ist, ist das auf moderne Weise fast schon selbstverständlich geworden. Was früher und im Knast aus einer Mangelsituation entstand ist inzwischen eine bewusst gewählte Freiheit geworden. Aber das nur nebenbei...
Zwangsweise, um Tango zu lernen, mussten die Jungs sich also bereit erklären, mit anderen Jungs zu üben. Das war nicht einfach!
Und brachte natürlich eine ganze Reihe von inneren Problemen mit sich ..
Scham, Peinlichkeit, Berührung - ein großer Punkt... das war natürlich voll schwul.
Es war also ein Weg. Ich war geduldig. Und beharrlich. Irgendwann war der heimliche Wunsch zu tanzen, neue Erfahrungen zu machen und in der Tristesse des Alltags mal was anderes zu erleben stärker. Sie gewöhnten sich an das Anfassen und tanzten in Übungshaltung.
Raus aus dem eigenen inneren Gefängnis
Ich machte zunächst immer freie Sachen mit ihnen - tanztherapeutisch - dann Tango. Trotz aller Widerstände merkte ich, wie es ihnen eigentlich gut tat und Freude machte. Es versetzte innere Grenzen, rüttelte am innerern Gefängnis.
Sie erlebten für Momente "Flow States", in denen sie vergaßen, dass sie sich doch eigentlich schämten und auch kurzzeitig vergaßen, dass sie in der Strafanstalt waren.
Vom Gestalten und der inneren Freiheit
Tanzen bedeutet etwas von innen nach außen bringen, vom inneren Erleben in den Ausdruck, vom Denken ins Spüren und in die Lebendigkeit kommen. von der Sehnsucht ins konkrete Gestalten und Bewegen.
Die Jungs konnten auf diese Weise und in diesen Stunden etwas verwirklichen, was ihnen ausserhalb dieser Mauern verwehrt blieb.
Von der Begegnung über Verbindung zur Einheit
Tango lebt von Kooperation und Kommunikation, von der Fähigkeit, sich miteinander zu verbinden und eine Einheit zu bilden.
Im Knast ein wunderbarer Gegenpol zu Erfahrungen von Destruktivität, Gewalt, Missbrauch und Isolation.
Es hebelte für Momente ungesunde Selbstbilder und Glaubensätze aus, die ihr Leben geprägt hatten. Es machte für mich ihre Sehnsucht dahinter spürbar, dazuzugehören, gewollt zu sein, unterstützt zu werden, eine Chance zu bekommen und Ihr Bestes zu geben.
Im Schutz des Tanzes war diese Erfahrung von Akzeptanz und wirklichem Miteinander möglich - trotz aller Hemmungen, Ängste und Widerstände.
In selbstvergessenen Momenten des immer öfter gelingenden Tanzes strahlten sie Freude aus und waren aufgehoben im Sein. Ganz jetzt, verbunden, frei.
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