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Rotraut Rumbaum  Mindful Motion

Rotraut Rumbaum

Mindful Motion

Ayahuasca, Meditation, Buddhismus - Teil 1: direkte Wahrnehmung

Ich hatte vor 7 Jahren eine "quasi-buddhistische" meditative Erfahrung in einer psychedelischen Zeremonie mit Ayahuasca.


In den letzten Jahren hat sich Ayahuasca in der spirituellen Szene sehr verbreitet. Wahrscheinlich hast du davon schon gehört oder vielleicht sogar eigene Erfahrungen damit gemacht?


Eine Collage mit einer Ayahuasca Pflanze und einem Kunstwerk das eine meditierende Person darstelle
Ayahuasca und Meditation

Dieser Auschnitt einer Ayahuasca Erfahrung stammt aus einer von insgesamt sieben Zeremonien. Ich war, nach dem ich zunächst für einige Zeit das Bewusstsein verlor, beim Erwachen unvermittelt in einem Zustand absolut wertfreier Offenheit (begleitet von innerem Frieden und tiefer innerer Stille). Etwas anders existierte überhaupt nicht. Es war das einzige, was es gab. "Ich" war dieser Bewusstseinszustand reinen SEINs - ohne wenn und aber.

Es war sozusagen eine Offenbarung an völlig selbstverständlicher Hingabe an den Moment, das Leben - einfach das, was ist und wie es ist.


Einfach? Im normalen Leben ist das ja oft eher eine Kunst, eine bewusste Entscheidung, Früchte von Meditationspraxis - kein plötzliches Geschenk des Himmels. "Es" war plötzlich einfach so, bzw Ich. Was aber nicht ganz stimmt, denn ein ICH im normalen Sinne war ja eigentlich gar nicht anwesend...


Im Buddhismus nennt man dieses reine Wahrnehmen ohne Wertung, Abwehr oder Verlangen Gleichmut, im Englischen Equanimity.


Ich fand das Jahre später erst richtig spannend. Denn so lange war mir die Dimension dieser Erfahrung garnicht wirklich bewusst. Es war ja so unspektakulär, besser gesagt undramatisch gewesen... Dieser Bezug zum Buddhismus wurde mir erst später bewusst. Inzwischen gibt es dazu einen recht neuen Film über ein Experiment. Ich war so tief berührt und beseelt davon und finde den Bezug zu meiner Arbeit so relevant, dass ich meine persönlichen Eindrücke und Gedanken dazu nun hier mit Dir teilen und reflektieren möchte...


Dieser Zustand der nicht-wertenden Offenheit ist mir und meinen Klienten übrigens vertraut durch die Praxis des Authentic Movement.


Mir persönlich sind auch bestimmte Zustände wie z.B. De-Personalisierung, die in psychedelischen Erfahrungen regelmässig auftauchen, vertraut - wenn auch durch die - zumindest ursprünglich - schmerzhafte Prägung durch dissoziative Zustände während frühkindlicher Traumata.


In der genannten psychedelischen Erfahrung war diese De-Personalisierung absolut positiv und im Nachhinein würde ich sagen erleichternd. Entlastend. Ohne die diversen Anzeichen meiner lebensgeschichtlichen Prägungen, bzw. Altlasten. Und mir fällt auf, wieviel mehr ich davon noch in mein Leben integrieren darf!


Die Erfahrung hatte folgende allgemeine Kennzeichen, die auch den Tibetanischen Buddhismus charakterisieren, und die sich teilweise bedingen oder auch überlappen:


Es ist wunderbar, soviel Buddhismus durch ein kleines Glas Ayahuasca Tee - mit dem richtigen Set und Setting - vermittelt zu bekommen.


In diesem Teil werde ich auf die "Direkte Wahrnehmung" eingehen.


In einem weiteren Beitrag gehe ich auf den "Verlust des Selbst" und weitere damit verknüpfte Themen ein. Beide Themen sind sehr verwandt, aber dieser Beitrag wird sonst einfach viel zu lang.


In einem dritten Teil wird es dann um das karmische Rad von Leben und Tod gehen, das in einer weiteren Ayahuasca Erfahrung auftauchte und die Reflexion darüber aus Sicht der buddhistischen Meditation.


Ayahuasca,Meditation, Buddhismus - Direkte wahrnehmung


Hier der zentrale Satz des folgenden kurzen Audios, bzw. Ausschnitt daraus, in dem ich meine frühere Erfahrung im Nachhinein spontan versuchte, jemandem zu beschreiben:

Es war einfach nur das Schauen, das Wahrnehmen. Es gab keine Verknüpfung mit einer persönlichen Geschichte, mit inneren Reaktionen.

Für diejenigen, die lieber lesen, hier eine bereinigte Transkription

Ich habe einfach geschaut, wahrgenommen. Daran gab es nichts Persönliches - einfach nur das Schauen selbst, das Wahrnehmen selbst. Darin war keine Verknüpfung mehr mit meiner persönlichen Geschichte und meinen Themen, mit den üblichen inneren Reaktionen, die ich so von mir kenne. Es war eine Art Empfänglichkeit oder Hingabe an das Gesehene. Eine Art offene Beeindruckbarkeit. Und ja, darin lag ein tiefer Frieden und eine Stille. Alles war einfach, was war. Und das war schön, so wie es einfach war. Also ich konnte die Schönheit in den Dingen und in allem ganz anders sehen. Das Leben selbst war auf eine bestimmte und unspektakuläre Weise einfach schön. Und ja, jeder Einzelne in seiner Haltung war schön. Und total undramatisch und unemotional,l ohne innere Verstrickungen, gedankliche Loops, persönliche Färbungen und sowas. Also man könnte auch sagen neutral. Und das neutral war nicht unangenehm oder kalt, sondern einfach entspannt bzw entspannend, und von diesem Schauen, diesem schlichten Wahrnehmen vom Leben geprägt - von den Dingen, von Menschen, wie sie einfach sind, wie das Leben einfach ist, dieses pure, reine. Ja, davon war die ganze Erfahrung durchzogen.

Direkte Wahrnehmung


Im Vergleich zur Meditation, hier ist ein zentraler Satz von Buddha, in der er Rat gibt, wie zu meditieren ist:

In Bezug auf das Gesehene, wird es nur das Gesehene geben. In Bezug auf das Gehörte, nur das Gehörte. In Bezug auf das Gespürte, nur das Gespürte. In Bezug auf das Erkannte, nur das Erkannte

Genau das war mir in der Ayahuasca Zeremonie passiert: ich sah einfach. Ich hatte aufgehört, mit dem Sehen automatisch alles mögliche zu verbinden. Das Gesehene war nur das Gesehene, und nicht mehr zusätzlich

  • Urteil und Bewertung

  • Abneigung oder Verlangen (aber keinen Wunsch dass es so bleiben möge)

  • Emotionen (außer einem allgemeinen Wohlgefühl)

  • Gedanken an die Vergangenheit oder Zukunft

  • Gedanken die das Gesehene analysierten

  • Lange Stories - zum Beispiel was der Gesichtsausdruck eines der Teilnehmer bedeitet

Ich nahm einfach nur wahr in einer Art, die im Tibetischen Buddhismus "the natural state" (of the mind) genannt wird. Das Gesehene wird nicht mehr mit allem möglichen überlagert und dadurch verformt. Der Geist ist ruhig.


Und so beschreibt Jackson Peterson diesen Zustand in buddhistischen Termini:

Unsere Wahre Natur, die reines Gewahrsam oder Buddha Mind oder Rigpa oder Brahman genannt wird, hat keine negativen Emotionen, keine mentalen Zustände, keine Gedanken, kein Leid und keinen Stress.

Das Gehörte war übrigens auch für mich tatsächlich nur das Gehörte!

(ZB. das Ayahuasca- Gekotze um mich rum, Wasser eingiessen, Atemgeräusche etc, die mich sonst immer völlig fertig gemacht hatten, weil meine Sinneswahrnehmungen so verstärkt waren.)

Das viel mir also total auf, da ich allgemein sehr geräuschempfindlich sein kann - vor allem bei diesen Zeremonien und ich das diesmal völlig unbeschwert erlebte.


Sehen ohne Konzepte


In dieser Ayahuasca Zeremonie zeigte sich ein weiterer Aspekt der buddhistischen Meditation. Nämlich eine Art der Wahrnehmung, die nicht geprägt ist von Konzepten. Was meine ich mit "Konzept"?


Wir nehmen im allgemeinen ja nicht "die Realität als solche" wahr. Statt dessen sehen wir - was die Realität auch immer sein mag - hochverarbeitete Konstrukte unseres Gehirns.


So nehmen wir der niedrigsten Wahrnehmungsebene zum Beispiel nicht einen Stuhl wahr, sondern nur den Einfall von Protonen in unser Auge. Über verschiedene Verarbeitungsebenen hinweg werden daraus Linien, Formen, Farben, Kanten etc. Und schließlich ein Stuhl. "Der Stuhl" ist ein Konzept.


All dies haben wir zunächst auf irgendeine Art im Lauf der ersten Lebensjahre automatisch gelernt. Aber in der Ayahuasca - Erfahrung ging es mir so:

Ich habe einfach nur geschaut. Wie ein Baby, das nun da ist und so herumguckt, aber das mit noch nichts "gefüllt", von nichts geprägt ist. Wie ein weißes Blatt Papier, noch völlig unbeschrieben.

Ein Baby hat erstmal keine Konzepte so wie wir Erwachsene.


Ich höre und übe seit gut zwei Jahren mal mehr mal weniger die "Daily Meditations" aus der "Waking Up" app des amerikanischen Meditationslehrers und Philosophen Sam Harris - die ich zur Zeit der Ayahuasca Erfahrung allerdings noch nicht kannte!

Im folgenden Ausschnitt leitet er an, "wie ein Baby" zu sehen, das noch keine Vorstellung davon hat, was all die Farben und Schatten und Linien bedeuten:

Lass uns die Sitzung mit offenen Augen beginnen....Schaue einfach in dein Gesichtsfeld...Es spielt keine Rolle, was du ansiehst....Es können Bäume oder der Himmel sein...Es kann eine leere Wand sein....Ein überladener Schreibtisch....Es spielt wirklich keine Rolle....Und während du ins Leere starrst, ...schau, ob du dein Gesichtsfeld in eine in eine Fläche aus Farben und Schatten auflösen kannst.

Das Baby sieht zunächst nur eine Fläche aus Farben und Schatten. Erst später werden daraus zum Beispiel das Gesicht der Mutter.


Auch hat das Baby noch kein Gefühl, ein "Ich" zu sein. Alles geschieht einfach nur. Das Ich entwickelt sich erst mit ca 18-24 Monaten.


In der Meditation beschreibt der amerikanische Dzogchen Lehrer Jackson Peterson diesen Zustand des/der Meditierenden als "wissendes Bewusstsein":

Dieses wissende Bewusstsein ist ein sehr nacktes bezeugendes oder wahrnehmendes Bewusstsein. Es ist frei von der Kleidung des Denkens, hat kein Gefühl für eine persönliche Identität oder eine persönliche Geschichte über seine Vergangenheit. Es ist wie unsere fünf Sinne: Unsere Augen sehen einfach, ohne das Gefühl zu haben, ein bestimmter "Seher" zu sein. Mit dem Hören ist es genauso: Wir hören einfach nur Geräusche, ohne dass die Fähigkeit zu hören als ein bestimmter "Hörer" definiert ist.
Genauso ist unser nacktes Gewahrsein nur das Bemerken oder Beobachten der inneren mentalen Ereignisse sowie der "äußeren" Wahrnehmungsereignisse der Erfahrung. Wir bemerken auch, dass dieses Beobachten ohne das Gefühl einer persönlichen Identität als "Beobachter" geschieht. Das wäre so, als würde ein neugeborenes Baby seine Umgebung einfach nur beobachten, ohne das Gefühl zu haben, eine bestimmte Identität zu haben. (Jackson Peterson)

Dieser Zustand mit einem verringertem Gefühl, ein "Ich" zu sein, wird durch psychedelische Substanzen regelmäßig ausgelöst. Das hat zum Beispiel damit zu tun, dass diese Substanzen - wie Ayahuasca - ein Netzwerk im Gehirn herunterfahren, das für dieses Gefühl mitverantwortlich ist: das inzwischen berühmte "Default Mode Network" (DMN). Dieses Netzwerk wird immer dann aktiv, wenn unser "Task Network" (also wenn wir etwas fokussiert tun) herunterfährt.


Also:

  • Auf dem Sofa sitzen und grübeln: Default Mode Network aktiv

  • Eine herausfordernde Aufgabe erledigen: Task Mode Network aktiv

Man kann aber das DMN auch durch Meditation herunterfahren!



Meine Erkenntnis: psychedelika können Einführung und Vertiefung von meditation sein


Eigentlich ist dies nichts Neues: alle bekannten spirituellen Lehrer der 60er Jahre wie Jack Kornfield oder Culadasa haben den Buddhismus durch LSD entdeckt. Und LSD hat den gleichen Effekt auf das Default Mode Network.


Und heute wird viel geforscht an dieser Überlappung von Meditation und psychedelischer Erfahrung. ZB um Wissen darüber zu erlangen, wie unser Bewusstsein funktioniert, aber auch bezüglich einer möglichen Verwendung bei psychischen Krankheiten.


Zum Sehen


Hier der Trailer auf Vimeo von "Descending the Mountain". Dies ist ein Film über ein Experiment mit Laien und einem Zen Meister.


"Den Berg herabsteigen": dieser Titel ist eine Umdrehung des Ausdrucks "Den Berg besteigen". Das meinte man mit "in mühevoller Arbeit den Berg zur Erleuchtung hinaufsteigen", durch jahrelange Meditations-Praxis. Und mit Psychedelika war es dann wie "mit den Hubschrauber auf den Berg fliegen" und den großen Überblick bekommen. Viele Jahre diskutieren Buddhisten, ob es ok ist, sich "non-duale Erfahrung" so einfach zu machen. Der Dalai Lama ist übrigens auf der Seite derjenigen, die Hilfsmittel und Technik für legal halten.



Zum Lesen


Was Neurowissenschaften, Zen Meditation und Psychedelika miteinander verbindet (ein unterstützender Beitrag zu meinem Post über Ayahuasca, Meditation, Buddhismus)



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